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Faszien und Narben Gewebe / Scar Tissue

Juni 2017/ Bea Eggimann:

In den letzten Jahren habe ich mich stetig mit dem Fasziengewebe befasst. Ich habe viel gelesen und gelernt, aber ich konnte dieses chaosartige Netzwerk erst bei meinen beiden Sezierkursen in Phoenix richtig fühlen und besser verstehen. Dabei fiel mir der extreme Unterschied zwischen normalem und Narbengewebe das erste Mal wirklich auf. Ich war erstaunt, wie eine Narbe an der Oberfläche wunderbar verheilt aussehen konnte, dass man sie schon fast nicht mehr gesehen hatte. Darunter jedoch künstliche Gelenke, verwachsenes Gewebe oder Organe zum Vorschein kamen. Normales Gewebe ist elastisch, kräftig, beweglich und resilient, Narbengewebe ist hingegen, verklebt, verwoben und fest. 

Mit dieser Erfahrung nahmen die Faszien / das Gewebe im Allgemeinen und Narben, einen anderen Stellenwert ein. Dies bewog mich dazu, die Fascial Stretch Ausbildung zu absolvieren und mich mehr mit der viszeralen Osteopathie zu beschäftigen. So erlernte ich neben dem Pilates & Faszien Pilates auch manuelle Methoden, um meine Klienten bei Schmerzen oder Dysbalancen zu unterstützen und deren Gewebe zu stimulieren. 

Ich wusste nun, dass das Narbengewebe einen immensen Einfluss auf das restliche Gewebe, die Bewegung und Funktion des Körpers hat. Aber wie konnte ich daran arbeiten? 

Als Britta Brechtefeld mir erzählte, dass sie über Bodymotion, Sharon Wheeler nach Deutschland holen würde, war ich begeistert und meldete mich am gleichen Tag zum Workshop an.

Kurz vor dem Seminar verbrachte mein Freund und Lehrer Brian, aus Hawaii, ein paar Tage bei mir im Studio, um meine Kunden zu behandeln und mir weitere Tipps für die künftigen Trainings und Therapiesessions zu geben. Er hat 20 Jahren Erfahrung und hat sich auf das Arbeiten mit dem Fasziengewebe spezialisiert. 
Wir arbeiteten an einem Kunden von mir, einem Profisportler den ich mit Fascial Stretch Therapy begleite. Ich erzielte dabei immer wieder Erfolge, dass er sich beweglicher fühlte, weniger Schmerzen hatte und einen weiteren Range of Motion erreichte. Brian arbeitete aber direkt an seiner Narbe, was einen noch grösseren Effekt zeigte. Und so konnte ich es kaum erwarten nach Deutschland ans Seminar zu reisen.

Der Beginn einer interessanten Reise
Eine internationale Gruppe fand sich letzte Woche in Dortmund ein. Die ersten beiden Tage waren eine Einführung ins Narbengewebe, ein Erlernen der Techniken und diese aneinander üben. Sharon arbeitete an einem Modell mit einer grossen Narbe von einer Operation eines künstlichen Hüftgelenkes. Ich war erstaunt, mit welchen sanften Techniken innert wenigen Minuten erste Farbeffekte der Narbe sichtbar wurden. Anders als beim Rolfing oder Struktureller Integration, wird sanft und im schmerzfreien Bereich gearbeitet. „Auf einer Skala von 1-10 arbeite ich beim Rolfing zwischen 4-7, bei Narbenarbeit zwischen 2-5“ erläuterte uns Sharon. 

Obwohl viele von uns dachten, „Ich habe keine Narbe“, war es spannend, dass bei jedem doch noch etwas zum Vorschein kam. Es ist unglaublich, wie sehr wir uns mit einer Dysfunktion abfinden und sie schlussendlich ignorieren. Als Beispiel mein kleiner Finger: Die Narbe war in Vergessenheit geraten und ebenso, dass ich diesen kleinen Finger weder ganz strecken noch biegen konnte. Grund: Ein Beachvolley-Spass-Turnier vor rund 15 Jahren, das mit einem Spitalaufenthalt und dem Zusammenbasteln des zersplitterten Kleinfingerknochens endete. 

Dass sich in diesem Seminar jemand eine Stunde um diesen kleinen Finger kümmerte, mit sanften Techniken das Gewebe stimulierte, war eine faszinierende Erfahrung. Schon nach wenigen Minuten veränderte sich die Farbe. Nach weiteren Minuten wurde das Gewebe geschmeidiger und am Ende konnte ich meinen Finger wieder ganz biegen und strecken. Ich war begeistert!

Am dritten und vierten Tag durften wir uns als Team den Modellen von aussen widmen, in 3 Runden mit je 9 Modellen. Verschiedenste Menschen jeglichen Alters und unterschiedlicher Anatomie, ergänzt durch ihre Narben und Geschichten. Von Kaiserschnitten, zu Hüftdysplasien, Gallensteinentfernung, Knochenbrüchen, Wirbelversteifungen, Krebsoperationen, künstlichen Gelenken und vielem mehr. Teils waren die Narben keine 3 Monate alt, viele wiederum waren 30 bis 40 Jahre alt. Manche Personen hatten Sensibilitätsstörungen und konnten diverse Stellen nicht mehr wahrnehmen. 

Diese 2 Tage waren gigantisch. Oft kamen Aussagen wie „ich berühre meine Narbe fast nie“, „ich mag meine Narbe nicht anschauen“, „ich lasse niemanden an die Narbe ran“, „seither habe ich immer noch Beschwerden“. Oder auch: „ich habe keine Einschränkungen der Narbe“, „dieser Teil meines Körpers fühlt sich fremd an“, „hatte die Narbe ganz vergessen“, „die Narbe ist so alt, da kann man nix mehr machen“ etc. Meistens haben wir zu zweit an einem Modell gearbeitet, entweder war die Narbe entsprechend gross oder es gab mehrere Narben an einer Person. Nach einer gewissen Zeit gab es die Möglichkeit zu rotieren, um möglichst an verschiedensten Narben und Geweben, Erfahrungen zu sammeln. Jede Narbe ist einzigartig und fühlt sich anders an. Es ist kein überflüssiges Gewebe, sondern ein wichtiger Teil von uns, der lediglich zusammengeklebt und verwebt ist. Narbengewebe sehnt sich danach, wieder ein dreidimensionales faszielles Netzwerk zu werden. 

Spannend für mich war auch der Zusammenhang zwischen Narben und den Organen. Die Funktion eines Organs ist durch vernarbtes Gewebe eingeschränkt. Die Kombination der Narbenarbeit und danach viszerale Osteopathie verspricht dabei optimale Erfolge.

Während des Arbeitens durften wir verschiedenste Reaktionen und Emotionen miterleben. Die Feedbackrunde am Ende war überwältigend: Jeder hatte ein Lächeln auf dem Gesicht. Das Fazit: Jeder hatte ein positives Erlebnis, das er nicht hätte missen wollen. „Ich fühle mich wieder als Ganzes“, „ich habe wieder Bewegung erlangt“, „ich kann diese Stelle wieder fühlen“, „noch nie hat sich jemand so um meine Narbe gekümmert“, etc.

Viel Dankbarkeit von uns Lernenden und von den Modellen erfüllten den Raum, welch bereichernde Erfahrung! 

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